Jörg-Thomas Dierks (Meda)

Der deutsche Schwede

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Berlin -

Er trägt Einstecktuch, aber keine Krawatte, an einer Hand ein Lederarmband: Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass Jörg-Thomas Dierks ein Pharmamanager wie kein anderer ist. Er ist per Du mit seinen Mitarbeitern, zögert aber nicht, nach Übernahmen Angestellte zu entlassen, die nicht mehr gebraucht werden. Wo sich Welten verändern, ist Dierks in seinem Element. Noch vor wenigen Jahren allenfalls Eingeweihten als Experte für Umstruktierungen bekannt, schickt sich der smarte 54-Jährige an, mit Meda einen neuen Milliardenkonzern zu schmieden.

Aufgewachsen in einem Dorf in der Nähe von Bad Kreuznach, verdankt es Dierks seinen guten Schulnoten, dass er das Gymnasium und später die Universität besuchen darf. Weil ihn selbst das Medizinstudium nicht fordert, schreibt er sich nebenbei für einen BWL-Studiengang ein. „Mir war früh klar, dass ich in die Pharmabranche wollte“, sagt Dierks. „Aber ich wollte ins Management, nicht in die Forschung.“

Anfang der 1980er Jahre waren in der Industrie solche Karrieren für Naturwissenschaftler noch nicht vorgesehen. Also schreibt Dierks Dutzende Hersteller an und erklärt sein Anliegen. Von vielen Firmen erhält er nicht einmal eine Antwort, doch am Ende hat er Glück: Der Chef von Grünenthal, Dr. Götz A. Dyckerhoff, wird auf den jungen Mediziner aufmerksam. So tritt Dierks 1985 als Trainee in der Abteilung Marketing/Vertrieb des Aachener Familienunternehmens an.

Nach mehren Stationen im Inland – unter anderem betreut er das Schmerzmittel Tramal (Tramadol) – soll Dierks eigentlich Verantwortung im Ausland bekommen. Doch das verzögert sich, und so sucht sich Dierks nach fünfeinhalb Jahren einen neuen Job. Er stößt auf ein interessantes Angebot: Die beiden dänischen Diabetes-Spezialisten Novo und Nordisk haben sich gerade zusammengeschlossen; die Unternehmensleitung sucht dringend Manager, die aus den Mitarbeitern in Deutschland ein gemeinsames Team für den Bereich Marketing und Vertrieb schmieden. Dierks sagt zu.

Seine Erfolge bleiben nicht unbeachtet. Mitte der 1990er Jahre vermittelt Dyckerhoff seinen ehemaligen Schützling zur AstaMedica. Die Pharmasparte des Chemiekonzerns Degussa hat kurz zuvor das Arzneimittelwerk Dresden gekauft und ihren Firmensitz von Frankfurt in die sächsische Landeshauptstadt verlegt. Dierks, zuständig für die Geschäftseinheiten Neurologie und Herz/Kreislauf, wird mit der Integration beauftragt, primär für die Bereiche Marketing/Vertrieb und Medizin. Später wird er für zwei Jahre nach Belgien geschickt, bevor er die Verantwortung für Deutschland bekommen soll.

Nach dem Erwerb der Degussa durch den Stromkonzernen Veba und dessen Verschmelzung mit Viag zu E.on spielt das Arzneimittelgeschäft keine Rolle mehr und wird in mehreren Teilen verkauft. Der US-Finanzinvestor Advent übernimmt Dierks als einziges Boardmitglied – wieder muss er das Unternehmen, das jetzt unter dem Namen Viatris firmiert, von den Füßen auf den Kopf stellen. Dierks hat damit kein Problem: „Private Equity sieht Werte, die andere nicht sehen. Was dann passiert, ist nicht immer schön, aber meistens richtig.“

Als Advent nach drei Jahren Kasse macht, hört sich Dierks nach einem neuen Job um. Er weiß mittlerweile, wo seinen Stärken liegen und dass seine Fähigkeiten in der Branche gebraucht werden. Doch dann macht Meda-Chef Anders Lönner ihm beim Mittagsessen ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann.

Mit dem Kauf von Viatris hat die schwedische Firma die Branche überrascht. Meda war bis dahin als Reimporteur allenfalls Fachkreisen in Skandinavien bekannt, doch Lönner hat sich vorgenommen, einen neuen skandinavischen Pharmakonzern aufzubauen. Mit der Olsson-Familie hat er einen Investor für sein Vorhaben gefunden: Die Eigentümer der Reederei Stena sind bis heute als Großaktionäre bei Meda dabei.

Lönners Vorschlag bei jenem Mittagessen: Während er sich bei Meda um Strategie und Zukäufe kümmern würde, sollte Dierks als Chief Operating Officer für das Tagesgeschäft verantwortlich sein – und natürlich für die Integration von Viatris und alle noch zu kaufenden Firmen und Produkte.

So beginnt der Aufstieg von Meda. Lönner übernimmt Altoriginale wie Cibacen/Cibadrex und Elidel von Novartis, Colifoam von GlaxoSmithKline, Aldara von 3M und Marcumar von Roche. 300 Millionen Euro zahlt er für das europäische Geschäft von Valeant, 200 Millionen Euro für den CB12-Hersteller Antula. Außerdem werden kleinere Produkte und Hersteller gekauft.

Parallel bringt das Unternehmen eigene Produkte auf den Markt, darunter Dymista, Zyclara, Edluar und Astepro. „Ärzte brauchen nicht unbedingt nur billige Generika, sondern ein interessantes Portfolio“, sagt Dierks. Das müssten nicht immer die größten Innovationen oder exotischsten Ideen sein; oft seien schon verbesserte Substanzen oder Applikationsformen im medizinischen Alltag eine große Hilfe.

Dierks achtet darauf, dass die Neueinführungen und Zukäufe schnell Teil von Meda werden. Er weiß, dass das Unternehmen mehr werden muss als eine Ansammlung weltweit verstreuter Produkte und Fabriken. Sobald Lönner die Verträge unterschrieben hat, überträgt Dierks die Zuständigkeiten an seine Teams in Solna und Bad Homburg, nimmt bestehende Produkte und führt sie in anderen Märkten ein. Firmennamen verschwinden, dafür wird der Meda-Schriftzug immer präsenter.

Im Oktober 2013 übernimmt Dierks von Lönner den Chefsessel. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehört, einen Übernahmeversuch von Mylan abzuwehren. Meda soll eigenständig bleiben – als schwedisches Unternehmen, auch wenn viele operative Funktionen längst am Südrand des Taunus liegen.

Über einen Umzug denkt der deutsche Konzernchef nicht nach. Denn das schwedische Element ist für Dierks ein entscheidendes Merkmal, um schwierige Entscheidungen durchsetzen zu können. Bei Meda pflegt man flache Hierarchien, kommuniziert und handelt direkt und offen – so wie man es sich bei skandinavischen Unternehmen vorstellt, wie es von Ikea erfolgreich zur Imagepflege eingesetzt wird.

Dierks lässt sich von seinen Mitarbeitern duzen, das schafft Vertrauen auch in Momenten, in denen der Turbokapitalismus sonst sein wahres Gesicht zeigt. Viele Mitarbeiter kennen seine Handynummer – wie viele schon angerufen haben, weiß man nicht.

Der Mediziner Dierks handelt mit der professionellen Distanz eines Arztes, der Patienten operiert, ohne sich deren Schicksal allzu sehr anzunähern. Er hat den Organismus als Ganzes im Blick. Und er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: Die ersten Gespräche mit der Rovati-Familie in Sachen Rottapharm-Übernahme verlaufen im Sande. Nach dem verpatzten Börsengang ist Dierks wieder zur Stelle.

Beim Antrittsbesuch macht er der Madaus-Belegschaft dann sofort deutlich, wer künftig Herr im Haus ist – und dass das Haus nicht in Köln, sondern in Bad Homburg steht. „Ich kann nicht jeden Arbeitsplatz erhalten, sonst verlieren am Ende alle ihren Job“, sagt er.

Sentimentalitäten sind Dierks fremd. Dazu sei er schon zu oft umgezogen, sagt er und fügt hinzu, dass seine Frau oft in China unterwegs sei und dass die beiden Kinder derzeit in London und Düsseldorf studierten beziehungsweise arbeiteten.

Dierks lebt in Brüssel und pendelt zwischen Stockholm und Bad Homburg – sein Büro ist dort, wo sein Laptop gerade steht. Er reagiert allergisch auf Meetings, lieber skyped er mit seinen Kollegen. So ist er immer erreichbar – egal, wo er gerade den nächsten Deal einfädelt. Dass er bei aller Rastlosigkeit entspannt wirkt, hat womöglich damit zu tun, dass er zwischen den Welten einfach zu Hause ist.

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