Die Palliativ-Versorgung steht auf der politischen Agenda: Das Hospiz- und Palliativgesetz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wurde im Bundestag besprochen. Es sieht 200 Millionen Euro vor, um die ambulante und stationäre Palliativ- und Hospizversorgung flächendeckend auszubauen. Christian Redmann übernimmt als palliativ orientierter Apotheker die Versorgung unheilbar kranker Patienten im ländlichen Ebermannstadt in Bayern. Er betrachtet seine Arbeit als „Grenzpharmazie“, die pharmazeutisches Fachwissen mit Kreativität verbindet.
ADHOC: Wieso haben Sie sich im Bereich der Palliativ-Pharmazie spezialisiert?
REDMANN: Eigentlich bin da anfangs eher „reingerutscht“: Ich war von 2007 bis 2012 in der Apotheke am Hochfeld in Wiesbaden angestellt, und deren Schwerpunkt war die Palliativ-Versorgung. Daher machte auch ich in dem Bereich eine Weiterbildung. In dieser Zeit erkrankte aber auch mein Vater an Krebs, ich pendelte jedes Wochenende zwischen Wiesbaden und Ebermannstadt. Mein Vater starb 2009. Während dieser Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema Sterben und Tod.
ADHOC: Welche Aufgaben hatten Sie als Palliativ-Apotheker in Wiesbaden?
REDMANN: Die Arbeit zeichnete sich durch ein sehr fortschrittliches Verhältnis von Apotheker und Arzt aus. Ich habe zum Beispiel Ärzte auf ihren Visiten in Hospizen begleitet und konnte so bei den Patientengesprächen am Bett des Patienten direkt dabei sein. Im Anschluss haben wir die Fälle gemeinsam besprochen und unter anderem Fragen zu Wirkstoffen, Dosierungen oder auch Nebenwirkungen und Wechselwirkungen erörtert. Dabei habe zum Beispiel ich mögliche alternative Darreichungsformen vorschlagen, wenn ein Patient im Krankheitsverlauf Probleme mit dem Schlucken bekam. Außerdem habe ich mich mit Schmerzpumpen auseinandergesetzt. In dem Bereich gibt es oft nur wenig Informationen vom Hersteller, aber gute Fachdatenbanken, in denen ich recherchieren konnte.
ADHOC: Und heute?
REDMANN: Ich habe 2013 die Stadt-Apotheke in Ebermannstadt übernommen, meinem Geburtsort. Von einer städtischen in eine ländliche Region zu wechseln war natürlich eine Umstellung. Jetzt arbeite ich verstärkt mit dem Palliativ-Portal zusammen, nicht wie in Wiesbaden mit Hospizen: Denn die nächsten sind in Bamberg und Erlangen, nicht hier in der Kleinstadt. Die Versorgungsstrukturen sind daher ganz anders. Aktuell versorge ich das ambulante Palliativ-Team der Sozialstiftung Bamberg von Dr. Jörg Cuno und übernehme die Ausstattung ihres Medikamenten-Notfallvorrats. Das Palliativ-Portal entwickelt außerdem zurzeit eine App zur Palliativversorgung für Ärzte, daran arbeite ich ebenfalls mit. Deutschlandweit stehe ich für das Portal als Berater in Fragen zur Palliativpharmazie zur Verfügung.
ADHOC: Welche Medikamente benötigen todkranke Menschen vor allem?
REDMANN: In erster Linie sind das Schmerzmedikamente. Zum Beispiel Fentanyl oder auch Morphin, wobei hier die Nebenwirkungen nicht zu stark sind, wie allgemein angenommen wird. Aber es geht nicht nur um Schmerzmittel, sondern auch um die sogenannte Komedikation. Patienten leiden hin und wieder beispielsweise unter Krämpfen aufgrund von Metastasen im Gehirnraum. Hier kann zum Beispiel Dexamethason gegeben werden. Oder Unruhe und Übelkeit können ein Thema werden, beides kann etwa mit Haloperidol therapiert werden.
ADHOC: Kommen unheilbar kranke Patienten auch direkt in Ihre Apotheke?
REDMANN: Grundsätzlich ist die Versorgung auf dem Land viel dezentraler. Die Patienten und ihre Angehörigen kommen daher auch in ihre Stammapotheke. Es geht nicht immer nur um Medikamente. Ich kann ihnen zum Beispiel Hinweise zu bestimmten Selbsthilfegruppen geben. Und ich mache Hausbesuche bei Patienten, denn oft werden Sterbende auf dem Land zu Hause gepflegt. Ich bringe dann auf dem kurzen Dienstweg etwa ein Schmerzmittel vorbei. Die Hausbesuche helfen mir auch, die Situation der Familien einzuschätzen und dem Patienten oder seinen Angehörigen ganz praktische Tipps geben zu können. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ich ihnen zeige, wie eine Medikamentenverpackung geöffnet wird: Bestimmte Fentanyl-Nasensprays gegen Durchbruchschmerzen etwa sind nicht leicht zu entsichern. Ein Patient oder Angehöriger fühlt sich nach einer kurzen Einweisung nicht mehr so hilflos und reagiert dann im Notfall weniger gestresst, was sowohl dem Patienten als auch den Angehörigen mehr Souveränität verleiht.
ADHOC: Wie läuft die Fortbildung zum Palliativ-Apotheker ab?
REDMANN: Ich habe meine Fortbildung in Hessen gemacht. Dort dauerte die Ausbildung sechs Tage, also drei Wochenenden. Auf der Palliativ-Station der Horst Schmidt Klinik in Wiesbaden habe ich dort an einem Fallbeispiel die Medikation bewertet. Die Schulung umfasst Vorlesungen zu verschiedenen Schwerpunktthemen, zum Beispiel Schmerztherapie, Morphine, alternative Darreichungsformen und Behandlung begleitender Symptome. Auch psychologische Aspekte wurden angesprochen, dabei besonders der Umgang mit den Patienten und Angehörigen. Ein Patient durchläuft nach der Diagnose mit einer unheilbaren Krankheit verschiedene Phasen: Unglauben, Verhandeln, und schließlich Akzeptanz. Ich muss wissen, in welcher Phase sich der Patient befindet, um die richtigen Worte zu finden. Wenn die Frage „Wie lange habe ich noch?“ aufkommt, muss unbedingt mit dem behandelnden Arzt und den Angehörigen geklärt sein, wie viel der Patient über seinen Zustand weiß. Das ist ein sehr intimes Thema und braucht viel Fingerspitzengefühl.
ADHOC: Interessieren sich viele Apotheker für diese Spezialisierung?
REDMANN: Ich habe den Eindruck, dass das Interesse insgesamt zunimmt. Meine eigene Fortbildung war voll belegt. Wir stehen alle irgendwo zwischen Heilberuf und Kaufmann. Die Palliativversorgung ist in wirtschaftlicher Hinsicht nicht unbedingt lukrativ, sie ist aufwändig und man braucht aus meiner Sicht eine gute Portion Idealismus dafür.
ADHOC: Welche Hürden gibt es?
REDMANN: Schwierig sind die Vorgaben der Krankenkassen, Rabattverträge etwa. Die Palliativ-Versorgung nenne ich in Vorträgen manchmal „Grenzpharmazie“, denn sie verlangt vom Apotheker viel Kreativität um Umgang mit Wirkstoffen, manchmal abseits von fertigen Arzneimitteln. Diese Kreativität muss natürlich fachlich durch Studien abgesichert sein. Gerade die tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Potenzial eines Wirkstoffs, losgelöst vom Beipackzettel, macht die Arbeit so spannend. In der Palliativpharmazie muss man um die Ecke denken. Ich beschäftige mich daher viel mit Pharmakologie und diskutiere mit dem behandelnden Arzt auch Offlabel-Einsätze für einzelne Fälle. Als palliativ-pharmazeutisch tätiger Apotheker muss ich wissen, wie ich einen Wirkstoff, der eigentlich in Tablettenform verschrieben wurde, verarbeiten kann, wenn der Patient eben nur eingeschränkt schlucken kann. Kann ich ihn vielleicht intravenös oder als Zäpfchen verabreichen lassen? Sehr häufig gibt es Spezialfälle im Hilfsmittelbereich, die ich bei der Krankenkasse einreichen müsste, um dann tage- oder wochenlang auf die Bewilligung eines Kostenvoranschlag zu warten. Oder auf eine Ablehnung der Kostenübernahme, auch das ist schon vorgekommen. Bei der Palliativ-Care steht aber der Patient im Vordergrund und der Tod und die Schmerzsymptomatik lassen selten genug Zeit, um diesen langen bürokratischen Weg zu gehen.
ADHOC: Welche Folgen hat das für Sie?
REDMANN: Leider führt die Bürokratie der Krankenkassen dazu, dass man als Palliativ-Apotheker mitunter auf Kosten sitzen bleibt. Beispielsweise haben wir unlängst für einen Patienten Zäpfchen hergestellt, die ich dann abends noch überbracht habe. Wochen später meldet sich die Krankenkasse des Patienten, dass sie mir die Kosten für diese Rezeptur nicht erstatten könne, weil das entsprechende Rezept erst nach dem Todestag bedruckt wurde, obwohl die Belieferung zu Lebzeiten stattfand! Der Fall wird gerade von uns bearbeitet – ich bin gespannt, wie sich die Krankenkasse positionieren wird. Bei allen Richtlinien und Vorgaben sollte die Menschlichkeit gerade in der Sterbebegleitung nicht auf der Strecke bleiben. Sterben kann und sollte nicht in dieser Form reglementiert werden.
ADHOC: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von Apotheker und Arzt in der Palliativ-Versorgung?
REDMANN: Hier ist gute Kommunikation unerlässlich. In der Palliativversorgung kann der Apotheker dem Arzt oft als „Hemmnis“ in der Versorgung erscheinen, weil er nicht ohne Zögern das verschriebene Medikament abgibt, sondern sich nach den Vorgaben der Krankenkasse des Patienten erkundigen muss. Hier scheint manchmal gar nicht so recht bewusst zu sein, das hinter so einer Frage keine Verweigerungshaltung steht. Doch der Arzt sollte nicht nur auf die Schwierigkeiten hingewiesen werden: Viel wichtiger ist eigentlich, dass jede Seite die Möglichkeiten des Anderen kennt. Ich als Apotheker will dem Arzt nicht in die Therapie hineinreden, da hat er schließlich viel mehr Ahnung. Aber wir Pharmazeuten kennen uns mit den Medikamenten besser aus und können unser Know-how einbringen. Beide Berufe konkurrieren in ihren Kompetenzen also überhaupt nicht miteinander: Sie ergänzen sich und sollten Synergien zum Wohle des Patienten nutzen. Dafür ist ein Austausch und Verständigung gerade in der Palliativ-Care sehr wichtig.
ADHOC: Was halten Sie von Minister Gröhes Entwurf zum Hospiz- und Palliativgesetz?
REDMANN: Herr Gröhe sieht 200 Millionen Euro für den Bereich vor. Und soweit ich das dem Entwurf entnehmen kann, sollen die Gelder gut angelegt werden: Denn Pflegekräfte und die SAPV [Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung] sollten definitiv mehr Geld erhalten. Meine Bekannten sagen manchmal, es sei doch sicher sehr schwer für mich, jeden Tag so nah mit dem Tod umzugehen. Doch im Vergleich zu den Pflegern bin ich ja kaum am Patienten dran. Trotzdem frage ich mich bei dem Gesetzentwurf: Wo bleiben die Apotheker? Die werden komplett ausgeblendet, obwohl von ihnen die Medikamente zur Behandlung inklusive der Fachkompetenz bereitgestellt werden. Hier sollten die Apotheker ihren Beruf und ihre Kompetenzen selbstbewusster vertreten. Da scheint auf Vertreterebene etwas falsch zu laufen, soweit ich das als kleiner Landapotheker einschätzen kann.
ADHOC: Neben dem Palliativ-Gesetz wird aktuell auch das Thema Sterbehilfe politisch diskutiert.
REDMANN: Ganz wichtig: Palliativ-Care ist nicht Sterbehilfe. Die Palli-Versorgung möchte jedem ein beschwerde- und symptomfreies, aber in jedem Fall ein natürliches Sterben ermöglichen. Eine Abgrenzung beider Themen ist nötig, das Verschwimmen der Grenzen halte ich für problematisch und im gesellschaftlichen Diskurs auch für gefährlich.
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